Grätenlos
Es geschah noch im alten Jahrtausend, aber manche Dinge prägen sich ein, man vergisst sie nie. Auch wenn sie total nebensächlich sind. Oder in der Realität gar nicht stattfinden, wie in diesem Fall.
Es war ein Bild für die Götter, wenn es sie auch nicht interessiert haben dürfte. Falls es sie gibt. Von den lebenden Menschen habe nur ich es gesehen, weil sich das Götterbild nur in meinen grauen Zellen abspielte. Der Mann, der mir im Storchen zu Bad Windsheim als lebendes Exemplar gegenübersaß, war Pfarrer. Es hat mich fasziniert, ihm beim Karpfen essen zuzusehen. Auch wenn das lapidar ist. In meinen Gedanken sah ich in ihm die Verbindung zu den Mönchen, die im Mittelalter dafür gesorgt haben, dass im regenarmen Aischgrund Karpfenteiche (über 7.000) angelegt wurden, um während der Fastenzeit die Ernährung der Bevölkerung zu sichern.

Quasi, als sei er ein Nachkomme der seinerzeitigen Mönche, wenn auch der Papst Mönchen und sonstigen katholischen Würdenträgern verboten hat, Nachkommen zu zeugen. Mit nicht ganz durchschlagendem Erfolg. Mancher unter dem Joch des Zölibats fand trautes Zusammensein und heimliche Götterstunden im stillen Kämmerlein mit einer holden Maid oder der Haushälterin auch ganz schön. Wenn es für viele unter ihnen aufgrund ihrer menschlichen Voreinstellung auch nicht einfach war, Männlein und Weiblein auseinander zu halten. Heute steht das in den Gazetten und ist Thema für Kirchenbeschimpfungen und Kirchenaustritte.
Evangelische Pfarrer haben keine zwischenmenschlichen Verbote, deswegen können sie sich nach dem Karpfen essen der Familienplanung widmen. Oder auch davor.
Wie der Herr Pfarrer im Storchen den Fisch sezierte, nach und nach zerlegte, die Gräten weg zuselte, diese kirchliche Konzentration hat mich fasziniert und ich beschloss, es ihm nachzutun, wenn ich kein Schäufele mehr auf dem Teller habe.
Aber die Gräten sind nunmal ein Hindernis, Fisch zu essen. Da verzichtet der sensible Esser (oft die liebe Gattin) lieber und trinkt den trockenen Riesling ohne Fisch. Was eigenlich nicht nötig wäre, weil es genügend Filets ohne Gräten gibt (z.B. Welse) und die schmecken nicht schlechter, weil Gräten keine Geschmacksträger sind. Mir persönlich ist es ziemlich wurscht, ob sich in dem Stück, das ich hinter die Zähne schiebe, Gräten befinden oder nicht. Weil man ja als kulturbewusster Gourmet zubeißt, bevor man hinunterschluckt. Und so die in den Zähnen hängenden Störenfriede entfernen kann, bevor sie im Schlund verschwinden, um Unfug im Bauch zu machen. Geschieht es anders herum, wird sich der Esser verschlucken und nach Luft schnappen. Der Karpfengott wird dann entscheiden, ob er es überlebt. Manchmal vertritt ihn der heilige Veit von Staffelstein.
Im Landgasthof zum Stern in Linden auf der Frankenhöhe fiel mir vor einigen Jahren auf, dass grätenloses Karpfenfilet angeboten wurde. Wr haben es konsumiert und ich habe mich nur gewundert, wo die Gräten geblieben sind. Ohne weiter nachzufragen. Dem Filet war nichts anzusehen, es hat auch wie immer hervorragend geschmeckt


Wer elfleinsbemerkungen aufmerksam liest, was ihm gut tut und zu seiner menschlichen Vollkommenheit führt und noch nicht die höchste Stufe Demenz hinter sich gelassen hat, der weiß, dass die
Bachforelle
mein bevorzugter Fisch auf dem Teller und am Angelhaken ist. Den man nicht im Fischgeschäft kaufen oder im Restaurant bestellen kann. Dort, wo man es kann, bescheißt der Wirt und tischt Regenbogenforellen auf. Das ist mir ziemlich häufig passiert, weil Gastronomen ihre Gäste manchmal für dämlich halten. Bei mir haben es alle Delinquenten bereut.
Da gab es dieses Jahr eine neue Entwicklung für mich. Man kann bei der Deutschen See gefrorene Bachforellen kaufen und liefern lassen. Leider "nur" aus der Zucht, aber immerhin.
Ich habe drei davon bestellt und freute mich auf einen Schlemmerabend. Der leider in die Hose ging, weil der Fisch wegen der Gräten nicht genehm war. Ich war gezwungen, sie alleine zu verspeisen, was ich nun überhaupt nicht wollte.

Damit war meine Geduld mit den Grätenbiestern zu Ende. Als ich Gegenmaßnahmen überlegte, fiel mir der Aufenthalt im Stern zu Linden ein. Da dürften die Gräten wohl nicht einzeln herausoperiert worden sein, also muss es maschinell geschehen.
Wie gut, dass man im Internet heutzutage alles findet. Ich fand nun die Firma im Emsland, die mit ihrem Produkt den Umsatz von Grätenfischen in Restaurants erheblich verbessert haben dürfte.
https://www.beeketal.de/beeketal-fischgraetenschneider-graetenschneider_507_1378?gad_source=5&gad_campaignid=21751779755&gclid=EAIaIQobChMIpqO24qvGjwMVtJ1QBh2aSiQYEAAYASAAEgIkVfD_BwE
Das Ding kostet ab Werk 194 €, bei der Metro 199 €.
Wenn wir noch in der Ortschaft leben würden, in deren Umgebung ich eine Lizenz zum Sportfischen habe, würde ich mir so ein Maschinchen in den Keller stellen. Ich kenne einige Angler, die gefangene Karpfen nicht mehr mit nach Hause bringen dürfen. Was für mich als Sportangler die schlimmste aller Bestrafungen wäre.

Ein mir bekannter Angler, wohnhaft am Kurpark, der mich kurz vor seinem frühen Tod an der Rannachmündung besuchte, schilderte mir sein Leiden. Zur Ehescheidung kam es nicht. Aber seine Frau kriegt nun gar keine Karpfen mehr. Ein naher Verwandter, grüß Dich Werner, verschenkt seine Fänge an eine Nachbarin. Meine Cousine in Oberfranggn ernährt sich nur von Fisch, isst kein Fleisch und trinkt keinen Allohol (würde ihr gerne Silvaner einflößen). Ich vermute, ihr Mann, grüß Dich Hubert, ist vermutlich nur deswegen Vorsitzender des Sportanglervereins geworden. So gibt es halt menschliche Schicksale rund um die Gräten.
Meiner christlichen und grätenreichen Begegnung im Storchen zu Bad Windsheim wünsche ich nachträglich ein langes Leben. Er weiß ja, wie man den Gräten entkommt und er durch diese eiweißreiche Ernährung in die Lage versetzt wurde, viele Nachkommen zu zeugen. Sofern er dem Zölibat unterlegen ist, befreie ich ihn hiermit kraft meiner Berufung als Menschenfreund. Vielleicht sehen wir uns mal in Linden auf der Frankenhöhe.

Wenn Sie jetzt aber glauben, damit wäre der Gipfel der grätenfreien Vollkommenheit erreicht, muss ich Ihnen noch eine Gräte ziehen.
Das was die Maschine kann, geht nämlich auch von Hand. Wie sollte es anders sein.
Ein Lehrer aus Bad Kissingen macht es vor und er ist für mich der absolute Antigräter.
https://www.youtube.com/watch?v=AHQvbSZvnzo
Es muss auch nicht unbedingt ein Karpfen sein, wie auf diesem Bild. Bei anderen Fischen geht es natürlich auch.