Vulnerabel

Ich glaube, der komische Herr Lindner hat es zuerst gesagt. Er
versuchte, Aufmerksamkeit zu erregen, weil ihm sonst keiner mehr
zuhört. Wer hört schon auf Rentner.


In der Tat saß das Fernsehpuklikum starr vor der Glotze und wusste
nicht, was der da meint. Anschließend waren die Server überlastet,
weil jeder von Google wissen wollte, was „Vulnerabel“ heißt. Im
Ergebnis sind wir sind nun ein Volk von Fremdwortspezialisten. In
gewissen Kreisen kann man sogar damit Anerkennung finden.
Sprachkünstler sagen „reüssieren.“


Die Unwissenheit des Publikums kam Lindner zu pass. Er hatte dem
Volk seine Überlegenheit gezeigt und warum er früher einmal eine
ministerielle Lichtgestalt war. „Sehet her, ich bin viel zu gut für
Euch“.


Dies geschah vor dem 07.11.2024, 14.00 Uhr.


Lindner konnte es sich ausrechnen, dass Scholz seine vulnerable
Frechheit bestrafen würde, nachdem er ihn im FDP-Interesse lange
genug gereizt hatte. Er hatte sich schon selbst
öffentlichkeitswirksam als Opfer bereit gestellt und bei der CDU
angedient. Die haben ihren Lachreiz unterdrückt und sich gefreut,
dass Lindner so mal eben die Ampelkoalition erledigt und den
Posten des Finanzministers zur CDU/CSU mitnehmen würde.


So was zur Logik eines Vorübergehensministers. Der vulnerable
Herr Lindner. Fürchterlich.


Kurze Zeit hatte ich geglaubt, das Wort hätte einen sexuellen
Bezug. Weil die ersten drei Buchstaben das größte weibliche
Sexualorgan bezeichnen. Nach kurzem Nachdenken schloss ich das
weitgehend aus. Weiteres Grübeln brachte mir die Erkenntnis, dass
ich da wohl mangels eigener Erlebnisse nicht ganz sicher sein
kann. Nur bewege ich mich damit auf unsicherem Gelände. Kann
mir höchstens in meinen Denkapparat projizieren, was erotisierte
Leute gelegentlich um Mitternacht im TV sehen: Am Bett fixierte
Lustige, die ausgepeitscht werden und denen das gut tut. Die
Schnarchphase tritt dann nach Beruhigung ein.

Aber lassen wir das, es ist nicht die Intention, mit der ich diesen Artikel begonnen habe.
„Intention“, schon wieder so ein Fremdwort.

Das Gegenteil von Vulnerabel ist Resilienz. Ersparen Sie mir, darauf einzugehen. Weil es Politiker mit Minderwertigkeitskomplex gibt, muss ich hier nicht Aufklärer sein.

Solche Vorgänge können dem deutschen Wähler aber helfen, auszuwählen (selektieren), welchem Politiker er bei der nächsten Wahl seine Stimme gibt. Bei mir hat kein Politiker eine Chance, der mich mit Sprachsünden beleidigt, obwohl er mich nicht persönlich kennt. Übrigens, das Riesenbaby aus Nürnberg, zuletzt in Veitshöchheim als Elvis aufgetreten, hat es auch getan. Er hat auch vulnerabelisiert. Das wundert mich bei ihm nicht, der Einfluss der mittelfränggischen Umgebung kommt bei ihm nicht an. Gut, dass er in Veitshöchheim nicht gesungen hat.

Möchte Ihnen deshalb an dieser Stelle einen Einspringpunkt geben. Wenn Sie den nächsten Brief schreiben, versuchen Sie doch einmal, dies in reinstem Deutsch zu tun. Es wird Ihnen gut tun, Ihr eigenes Erzeugnis zu lesen. Nutzen Sie ruhig Ihren gepflegten eigenen Sprachschatz. Wenn Sie dann ein besseres „deutsches“ Wort für den gleichen Sachverhalt finden, können Sie ja tauschen.

Früher einmal war der Duden der Hüter der Deutschen Sprache. Ist er jetzt nicht mehr, wenn man sich ansieht, welche Wörter neuerdings zum Deutschen Sprachsatz gehören sollen. Im August 2024 ist der Duden mit 3000 Neuaufnahmen erschienen. Ich habe jetzt aber keine Lust, nach etwas Neuem zu suchen, kann Ihnen aber anheim stellen, Mitglied bei der Gesellschaft für deutsche Sprache zu werden. https://gfds.de/

Zum Schluss noch etwas, was mir vor längerer Zeit imponiert hat.

Als ich noch Vorwärtsstrebender in meinem Berufsfeld war, habe ich eine mehrjährige Ausbildung zur gleichen Zeit wie mancher Kollege durchlaufen. Wulfgäng erzählte mir, er habe einen Brief voller Fremdwörter bekommen und in seiner Antwort die Anzahl der Fremdwörter erhöht. Das fand ich wirklich gut. Wir sind dann gute Freunde geworden, sind zusammen gereist, haben uns gegenseitig vor Krokodilen gewarnt und Frankenwein zu Bratwürsten getrunken. Dass er Hosen ohne Hosentaschen trug, spielte keine Rolle.

Heinz Elflein

12.03.2025