Corazon

In jedem spanischen Liebeslied taucht „Corazon“ auf. Wenn nicht, ist es kein Liebeslied. Ich brauche das Wort wohl nicht zu übersetzen.

Weil der Begriff nun hier auf diese Website erscheint, vermuten Sie zurecht, Corazon könne man auch essen. Das kann man in der Tat und man braucht kein Menschenfresser sein. Die Corazons auf unserem Teller sind von Hühnern.

Das erste Mal aßen wir Corazon in einem spanischen Restaurant hinter den sieben Bergen. Der Besitzer machte die Hühnerherzen äußerst delikat. Irgendwann sahen wir ihn in einem Torerokostüm bei einer TV-Sendung von Dieter Thomas Heck singen. In Deutschland sei er ein Spanier und in Spanien ein Deutscher, klagte er uns sein Leid.

Während meiner Dienstzeit in Bonn hatten wir in Bad Godesberg

eine Zweitwohnung. Mit der Fähre auf die rechte Rheinseite, vorbei am Grand Hotel Petersberg, noch ein paar Ecken und schon waren wir da. Wir fuhren öfter hin und meinen Kollegen im Büro gingen meine Erzählungen von den Corazons langsam auf den Geist. Ich schwärmte offensichtlich einmal zuviel davon, als eine Kollegin einen von mir begonnenen Satz zu Ende formulierte und mit den Augen rollte. Eine sehr subtile Art von Zensur. Ich habe mich auf meine Weise gerächt, als sie vom Selbsteinbau ihrer IKEA-Küche berichtete.

Eines Tages als Bonn seinen Hauptstadt-Status verlor, war der Torero weg, hatte das Lokal verkauft und ging zurück in das Land, wo man ihn als Deutschen ansah. Wir haben nie wieder von ihm gehört. Auch seinen Namen vergessen. Wir sind dann auch weggegangen, aber beide Ereignisse haben nichts miteinander zu tun.

Unsere Freunde Olga und Gonzalo (Spitzname Coyote) aus Nordspanien, die nun leider auch wieder zurück sind, kannten Corazon natürlich. Sie bereiteten uns die Herzen zu, wir haben nie bessere gegessen. Wir versuchen gelegentlich das Rezept zu kopieren

Die Hühnerherzen kaufen wir nun bei unserem Marktbeschicker, der die Hühner frei herumgackern lässt. Da hoffen wir, dass Antibiotika-Händler, sprich Tierärzte, nicht in deren Nähe kommen. Das Wort „Corazon“ hatte er nie gehört. Er lässt die Fettränder an den Herzen, Marianne popelt sie mühsam ab, damit wir nicht das große Würgen kriegen.

Die Herzen werden mit Hühnerboullion angeschmort, scharf angebraten, gepfeffert, leicht gesalzen, dazu kommt Knoblauch, Thymian und Paprika und etwas Rotwein. Sofern ich mich jetzt nach einer Flasche Rioja nicht in der Reihenfolge vertan habe.

Weil es mir schlundmäßig irgendwann nicht scharf genug war, brauchte ich Abhilfe. Die kam von einem winzigen Fläschchen aus Serbien. Von dort, wo sich am Rande zu Ungarn eine ungarische Volksgruppe seit gefühlten hunderten von Jahren wohlfühlt. Hat der Mitbringer, Herr Gabor, der dort geboren ist, so erzählt. Paprika-Konzentrat. Man sollte es nur in homöopathischen Dosen verwenden. Wer zuviel nimmt, brennt seine Magengeschwüre weg. Wer seinen Prostata-Krebs beseitigen will, muss etwas mehr nehmen.

Zuletzt ergab es sich, dass etwas mehr Einsatz von Hühnerbouillon Corazon-Suppe erzeugte. Ergibt leckeres Schlürfen. Wer es mampfiger mag, soll es ruhig eindicken.

Heinz Elflein

04.05.2014

17.04.2021

------