Krokodil im Karpfenteich
Der Pfeil muss direkt an meinem Kopf vorbeigeflogen sein, denn ich hörte ihn surren. Als ich ihn dann sah, steckte er im Kopf eines Alligators. Unter den Beißern, wo kein Panzer ist. Was ich nach der ersten Überraschung zunächst dachte, ist mir noch sehr gut erinnerlich. „Habe gar nicht gewusst, dass ein Pfeil den Panzer des Alligators durchringen kann.“ Dann erst kam der Schreck, denn der um sein Leben ringende Alligator war nur etwa drei Meter von mir entfernt. Es gab aber nichts mehr zu ringen, denn der Pfeil hatte genügt, das Dasein des Alligators zu beenden, damit er nicht mehr harmlose Touristen erschrecken konnte. Ein Meisterschuss. So was können nur Indianer.

Wir waren auf dem Trail im Urwald in der Nähe von Naples. Dass es dort Alligatoren gibt, war uns klar,aber wir hatten keine Angst und die vermaledeiten Moskitos quälten uns viel mehr.
Für Naples-Besucher liegt ein Besuch in der Wildnis buchstäblich nahe. In den Everglades können Alligatoren in freier Wildbahn beobachtet werden. Man muß dafür nicht in die Höllenmaschinen von Booten mit Ventilatorantrieb steigen. Diese verjagen die Tiere nur.
Das Alligator-Watching sollte man allerdings aus sicherer Entfernung tun, am besten mit geöffneter Autotür. Achten Sie auf Ihre gehbehinderte Schwiegermutter.
Die Bilder spezieller Boote, die durch den Mangrovenwald brausen, hat sicher schon jeder gesehen. In den Everglades gibt es natürlich Pelikane, aber auch das amerikanische Wappentier, den Weißkopfadler. Daneben Alligatoren, schwarze Panther und Trillionen Moskitos.
Sie sollten also in den Everglades nicht schwimmen gehen. Auch die Ureinwohner Floridas, Seminolen, wohnen noch in den Sümpfen. Sie sind absolut schwindelfrei, werden deswegen gerne bei Hochhausprojekten als Bauarbeiter eingesetzt.
Außerdem werden sie von Moskitos nicht behelligt, dies sei der weißen Bevölkerung vorbehalten. Nun gut, jedem das Seine. Wie zur Bestätigung fiel uns das Fehlen der obligatorischen Moskitogitter in einigen Häusern von Everglades City auf. Die Everglades leiden allerdings unter schleichender Auszehrung. Immer mehr Ferienkolonien werden in sie hinein projektiert. Wir besichtigten eine. Sehr komfortabel, weniger teuer als die Anlagen in Naples und Marco, weitab vom Strand, aber an Kanälen liegend, mit Aussicht auf guten Fischfang und Alligatoren im Garten. Welch sympathische und possierliche Haustiere.
Mein Originalfoto von den beiden Exemplaren hierunter habe ich neben unserem Leihwagen stehend gemacht, nachdem ich die Kameraden Fleischfresser vorher mit Steinen beworfen hatte, was die beiden überhaupt nicht interessiert hat. Obwohl ich getroffen hatte.

Sie gaben die unbeteiligten Zuschauer. Da war ich doch so mutig, einen Meter neben dem Auto bis ans Wasser heran zu gehen.
Aber nun passierte das große Wunder. Neben dem toten Alligator krochen kleine Alligatoren aus Eierschalen. Der junge Seminole, der uns vor einem Angriff des Alligators bewahrt hatte, zeigte sie uns. Den toten Alligator wollte er mitnehmen und aufessen. Lecker gegrillt. Ist zwar in USA verboten, aber der Verstoß gegen das Verbot war sanktioniert, weil uns der Indianer das Leben gerettet hatte. Auch die Eier kann man essen. Ansonsten schlüpfen die Kleinalligatoren, wenn die Sonne sie ausreichend lange beschienen hat. Ausgebrütet werden sie nicht.

Irgendwie war ich an diesem Tag nach dem zweiten Moskitostich etwas spleenig. Man soll nicht glauben, welchen Schmerz so ein Stich dieser relativ kleinen bösen Insekten verursachen kann. Kam ich doch auf die Idee, ein paar Alligatoreier mit nach Deutschland zu nehmen. Nicht, um sie hier zu essen. Nein, ich wollte die Krokodile schlüpfen lassen.
Hierfür musste ich natürlich Widerstände und Hindernisse überwinden. Für den Rückflug musste ich die Eierchen gut verstecken, damit Behörden und Zoll keine Schwierigkeiten machen konnten.
Mein Freund Wulfgäng (seminolische Aussprache), der mit uns die Reise unternommen hatte, war voller Bewunderung für meinen Mut, seine Frau Anita hat sich gefreut, dass wir in Deutschland nicht neben ihnen wohnen.
Ich will mich jetzt kurzfassen und nicht auf alle Einzelheiten eingehen, wie es mir gelungen ist, drei Eierchen mit Alligator in der Schale wohlbehalten aus Florida mit nach Hause zu nehmen. Es könnte zwielichtige Personen, z.B. Drogenschmuggler, zur Nachahmung animieren.
Also, meine liebe Frau wollte nicht, dass sie eines Tages mit einem frisch geschlüpften Alligator in unserem Haus konfrontiert wird. Damit musste ich mich - etwas bedröppelt - abfinden. Asyl bei Nachbarn bekam ich nicht. Aber ich hatte schon eine andere Idee.
Es musste mir nur gelingen, das Ei einige Tage kräftiger Sonnenbestrahlung auszusetzen und dafür zu sorgen, dass nicht irgendein Eierdieb den Alligator auffrisst, bevor er geschlüpft ist.
Damit, wie ich das geschafft habe, will ich meine Leser auch nicht langweilen. Nehmen Sie ganz einfach zur Kenntnis, dass ich ein lebendes Alligatörchen aus meiner Hand in einen meiner Angelteiche eingesetzt habe. Das Gewässer kann ich an dieser Stelle nicht preisgeben, sonst machen sich noch Horden von Möchtegernjägern mit großen Flinten auf. Es liegt in Mittelfranken, das muss reichen. Eine Möglichkeit wäre der Hornauer Weiher – Quelle der Altmühl – gewesen. Dann hätte sich das inzwischen zum Riesenkrokodil gewordene ehemalige Alligatorbaby bis nach München vorkämpfen können, um dort jemand von der CSU zu beißen. Hätte nur bei Kelheim in die Donau und später in die Isar wechseln müssen. Dazu muss ich sagen, das Biest im Jahre 2000 von unserer letzten Florida-Reise mitgebracht zu haben. Dürfte jetzt eine beachtliche Größe haben.
Nein, Hornau ging nicht, ich brauchte einen Himmelsweiher, ohne Zu-und Abfluss, um eine Kontaminierung der fränkischen Bevölkerung weitgehend zu vermeiden. Ich habe einen gefunden, auch noch weit genug vom nächsten Dorf, denn Alligatoren können auch zu Fuß gehen. Das Nahrungsangebot ist groß, man setzt dort jährlich Unmengen von Karpfen und sonstigen Fischen ein. Hätte mir gerne auch angesehen, wie der Alligator mit einem Wels um sein Leben ringt, aber ich kann ja nicht rund um die Uhr unter Wasser ausharren. Alles kann der Mensch nun mal nicht haben.

Zwischenzeitlich ist die Anwesenheit des Alligators der einheimischen Bevölkerung aber bekannt geworden, weil nach dem letzten Hochwasser die Teiche übergelaufen sind und die toten Karpfen auf der Wiese herumlagen. Mittendrin hat ein 12jähriges Mädchen das Krokodil gesehen. Geglaubt hat man ihr das nicht, aber als ein Reh am nächsten Tag in der Mitte durchgebissen auf der Wiese lag, wurden die Zweifler weniger. Ich halte mich da bedeckt, sage aber, nichts gesehen zu haben, wenn man mich fragt. Möchte nur wissen, warum der Alligator das angefressene Reh hat liegen lassen, was ihn da gestört hat. Der zuständige Jäger, bei dem ich mal eine Ferienwohnung gemietet hatte, hat mich nur komisch angesehen, als ich ihn befragt habe.
Auf der Frankenhöhe liegt eine amerikanische Kaserne und ich habe in der Nähe einen gebürtigen Seminolen getroffen, als ich dort mal auf Wanderung war. Dessen indianisches Gesicht war mir gleich aufgefallen. Er ist Pilot. Dass ich quasi Besitzer eines Krokodils aus Naples bin, hat ihn überhaupt nicht aufgeregt. Er hat mir versprochen, das Tier auf einem seiner nächsten Heimflüge mit einem US-Kampfflugzeug mitzunehmen und in den Everglades auszusetzen. Als Ausgleich hat er mir einen jungen Weißkopfadler zugesagt. Der kann dann in unserem Garten die Tauben jagen.
Heinz Elflein
13.09.2023