Hundsfrasser
Die Hundsfrasser von Neustadt
Dieser Bericht war schon in der Versenkung verschwunden. Aus aktuellem Anlass hole ich ihn wieder heraus. Wobei ich über den Anlass selber keine Auskunft erteile. Sagen wir einfach, es hat mich gejuckt.
Wundern Sie sich nicht, wenn Sie die Überschrift „Hundsfrasser“ lesen. Ersetzen Sie einfach das „a“ durch ein “e“. In Oberfranggn vertauscht man gern die Vokale.
War als Kind sehr verwundert über Großvater, als wir ihn mal besuchten. Von Middlfranggn kommend. Er sprach von einer Uhr, meinte aber mein Ohr. Ich habe nämlich ein „Elfleins-Uhr“. Damit hört man besser, auch das, was man nicht hören soll. Mein Vater hatte es nicht. Was ich äußerst witzig fand. Das ist aber jetzt nicht das Thema.
Warum ich jetzt – und erst jetzt - über Hundefleisch-Vertilger schreibe, hat seinen besonderen Grund. Anlass war ein Gespräch mit einer Verwandten, als ich wieder einmal das Land meiner Väter mit meiner Anwesenheit kontaminierte. Ich erfuhr etwas, was ich vorher nicht wusste.
Warum ich lange Zeit über das Thema lieber geschwiegen habe, hat schon seinen Grund. Ich war mir nämlich nicht so recht sicher, ob es mir persönlich zum Nachteil gereicht, wenn ich mich überhaupt öffentlich damit beschäftige. Allerdings, genau genommen, habe ich mich im alten Jahrtausend schon einmal öffentlich wirksam darüber ausgelassen, weil mich damals der Teufel ritt, was gelegentlich - mit meiner Zustimmung - schon mal vorkommt. Bei mindestens einer wichtigen Person, die heute nicht mehr so wichtig ist, habe ich seinerzeit gehörigen Unmut ausgelöst. Denke, da kann ich ja nach so langer Zeit das Spiel noch einmal spielen.
Eine gewisse Ernsthaftigkeit meinerseits ist schon angemessen, hat das Thema doch mit der Vergangenheit zu tun, wo auch meine Familie grausam betroffen war. Es vererbt sich. Ich weiß es ja schon seit Jahrzehnten und lege mein Leben darauf aus, ja nicht von meinen Genen zu etwas getrieben zu werden, was ich unter Anlegung kulturvoller Lebensweise für abartig halten sollte. Bin ja kein Chinese.
Der Geburtsort meines Vaters ist Neustadt bei Coburg. Er lag bis zur Wende kurz vor der Zonengrenze nach Thüringen. Die Neustädter sind rundum bekannt als „die Hundsfrasser“. Der Vorwurf kommt vor allem aus Coburg. Die man „Residenzler“ nennt. Die Neustädter behaupten,
Hunde ja nur für die Residenzler gefangen zu haben. Damit diese sie verspeisen.
Das ist eine glatte Lüge. Die Neustädter frassen ihre Hunde selber. Ich kann das nun aufgrund der Erinnerungen einer Verwandten beweisen. Sie hat mir bestätigt, dass ihr eigener Vater – mein Onkel – selbst Hunde gefangen hat, damit die neunköpfige Familie etwas zu beißen hatte. Sie glaubt, mein Vater hätte von dem Hundebraten etwas mitbekommen. Ich kann unseren Vater nicht mehr befragen, erinnere mich aber, dass er mehrfach von Hundefleisch gesprochen hat. Weil er Kriegsgefangener in Russland war. Das Hundefleisch sei langfasrig und wohlschmeckend. Meinten die Kriegsgefangenen.
Damit es aber klar ist: Wir haben nicht darüber zu urteilen, wie die Menschen in den 30er Jahren ihr – wahrscheinlich nicht so einfaches Leben – gefristet haben. Wenn damals eine ganze Region auf diese Weise ihre Situation verbessert hat, haben wir das zu akzeptieren.
Witze darüber machen darf ich aber trotzdem.
Der Vorfall, auf den ich jetzt zurück komme, ist aber kein Witz. Ich bin seinerzeit mit großer Wahrscheinlichkeit in die Tradition der Hundsfrasser eingebunden worden. Es ist schon lange her. Und hängt mit fränggischen Bratwürsten zusammen. Die Neustädter haben ja immer behauptet, sie machten die besten. Ich kam gerade aus Coburg, wo mich immer, wenn ich in der Nähe bin, der Weg zum Marktplatz führt. Dort ist ständig ein Bratwurststand.

Es wird (wieder) auf Kiefernzapfen gegrillt auf dem Marktplatz. Ist wieder erlaubt. Bessere Würste gab es für mich wegen des besonderen Geschmacks der Kiefernzapfen überhaupt nicht.
Als mich mein Weg weiter nach Neustadt führte, wo damals noch der jüngste Bruder meines Vaters lebte, kam mir doch wieder so ein Geruch in die Nase, der mich unweigerlich anzieht und brutal stoppt. Ein Bratwurstgrill.
Bereits beim ersten Biss konstatierte mein Geschmackssinn ein kleines Wunder. Diese Wurst war noch um Längen besser, als die aus Coburg. Hätte ja nicht geglaubt, dass da noch eine Steigerung möglich sei. Onkel Kurt grinste, als ich ihm das erzählte. „Hat schon einen Grund, musst Du aber selber drauf kommen“ sagte er.
Ich kam darauf. Glaube ich zumindest.
Normalerweise ist ganz Deutschland voller Köter, die nix anders wollen, als beißen. An diesem Tag in Neustadt habe ich keinen einzigen gesehen. Noch nicht mal in der Nähe der Wurstbude, wo ja Vierbeiner normalerweise herumlungern, damit sie etwas mitbekommen.
Zurück in Bonn habe ich mich dann erst einmal an den PC gesetzt, an den Bürgermeister von Neustadt geschrieben, ihm meinen Verdacht mitgeteilt und ihn um Auskunft gebeten. Er hat nicht geantwortet.
So was lasse ich normalerweise nicht durchgehen. Schrieb flugs eine Geschichte über die Hundsfrasser – so wie die hier - und bot diese dem Coburger Tageblatt zur Veröffentlichung an. Die Residenzler antworteten freundlich. Sie hätten sich zwar köstlich amüsiert (glaube ich ihnen), aber die Story würde in keine Rubrik passen. Das glaube ich ihnen nicht. Denke eher, sie wollten ihre Abonnenten aus Neustadt nicht vergraulen.
Das ist ja alles schon lange her. Ich beließ es erst einmal dabei. Habe es geschafft, meine Beklemmungen mit Hunden zu überwinden. Den Biss vom Nachbarshund mit einer Schnauze, als sei er vom 5. Stock darauf gefallen, verkraftet. Ich kann frei darüber reden und schreiben. Wie Sie gerade bemerken.
Der seinerzeitige Bürgermeister von Neustadt ist lange nicht mehr im Amt. Eine Frau hat ihn abgelöst, es aber nur eine Legislaturperiode lang ausgehalten. Kein Wunder, wenn man ständig aus der Neustädter Umgebung ringsherum in ganz Oberfranggn und Thüringen auf die kulinarische Vorliebe der Neustädter angesprochen wird. Das halten Frauen nicht lange aus. Männer stecken so etwas eher weg. Woraus man ableiten kann, warum Männer in der Politik in der Überzahl sind. Sage ich mal so als bekennender Macho.
Eigentlich wäre es ziemlich unverschämt, wenn ich jetzt noch einmal einen Bürgermeister mit einer öffentlich kolportierten Anfrage bloß stellen würde. Andererseits möchte ich schon wissen, ob man heutzutage in Neustadt eine Bratwurst essen kann, bei der man sicher ist, dass sie aus reiner Schweineschulter gemacht ist.
Könnte ja über einen Umweg darauf schließen. Zum Beispiel, wenn ich nach dem Aufkommen der Hundesteuer fragen würde. Das scheint unverfänglich. Könnten den Bürgermeister von Neustadt aber auch selber befragen.
Kürzlich habe ich erfahren, wo angeblich heute noch Hunde verspeist werden:
http://steinach-thueringen.de/
Wer mir das nun wieder gesagt hat, fällt unter meinen Informantenschutz.
Nach Steinach in Thüringen werde ich in diesem Leben vielleicht noch einmal hinfahren. Und vielleicht im Gasthaus zur Höll eine Bratwurst bestellen.
In die Schweiz kriegt man mich allerdings deswegen nicht hin.
https://www.bz-berlin.de/artikel-archiv/auch-die-schweizer-essen-hunde
2018 machte eine Band aus Erlangen von sich reden, die sich "Hundsfrasser" nannten und Open-Air-Konzerte veranstalteten. Ob es die Band heute noch gibt, bezweifle ich. man hört nichts mehr von ihr. Vielleicht haben sich die Musiker auch zuviel Hundefleisch zwischen die Zähne geschoben. Einseitige Ernährung soll nicht gut sein.
Zu der Tatsache, dass man in China Hundefleisch als ganz normales Lebensmittel ansieht, möchte ich eigentlich nichts sagen. Sollen sie doch. Aber wenn dabei der Gedanke aufkommt, dass die Chinesen am Aufkommen der Corona-Pandemie schuld sind, weil Erreger in seltsamen Tieren, die dort auf dem Markt verkauft werden, die Schwelle Tier/Mensch überwunden haben, macht mich das doch nachdenklich. Dass ich nicht mehr in chinesische Restaurants in Deutschland gehe, hat damit nichts zu tun. Aber mit Glutamat, womit dort normalerweise sämtliche Speisen aufgepäppelt werden.
Heinz Elflein
26.01.2023